Alles klar für den nächsten Dreh

Der Schwimmer

Als ein DDR-Flüchtling um sein Leben schwamm: Dokumentation über die Flucht des Leistungssportschwimmer Axel Mitbauer im Jahr 1969 durch die Ostseemerken
Ein herrlicher Sonnentag, einer von vielen in diesem Sommer. Wir, Axel Mitbauer und ich sitzen auf einer dieser unverwüstlichen Bänke am Strand des Ostseebades Boltenhagen. Neben uns ein kleiner Bach, der müde der Ostsee zufließt.
Heute beginnen die Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm, der ein sehr trauriges Kapitel der Deutsch -Deutschen Geschichte zum Inhalt hat: Die Flucht aus der DDR. Über die unberechenbare Ostsee. Einem, dem diese Flucht gelang und über den diese Dokumentation berichten wird, ist der Leipziger Axel Mitbauer – ein ehemaliger Leistungssport-Schwimmer aus der DDR, der sich im Alter von 19 Jahren zu dieser risikobehafteten Flucht über die Ostsee entscheiden hat. Vor und nach ihm haben immer wieder Menschen versucht, auf diesem Weg der DDR zu entfliehen. Offizielle Zahlen, wieviel es nicht geschafft haben, gibt es nicht. Die leblosen Körper, die an der dänischen Küste oder in Boltenhagen angeschwemmt wurden, wurden vermutlich als Unfälle deklariert und entsprechend in den Akten vermerkt. Autor: B. Specht, 2022

Dazu passend ...

Boltenhagen - Erholsamer Urlaub an der Ostseeküste zu jeder Jahreszeit
Das Ostseebad Boltenhagen an der mecklenburgischen Ostseeküste mit 5 Kilometer langem Sandstrand, kristallklarem Wasser und einer imposanten Steilküste. Erlebenswert im Wechsel der Jahreszeiten. Boltenhagen liegt nördlich der Kleinstädte Grevesmühlen und Klütz, etwa 20 Kilometer westlich der Hansestadt Wismar und 30 Kilometer östlich der Hansestadt Lübeck.
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Als ein DDR-Flüchtling um sein Leben schwamm

Flucht über die Ostsee
​Axel Mitbauer hatte einen entscheidenden Vorteil. Er war mit dem Wasser vertraut wie kaum ein anderer der Flüchtlinge. Seit dem 12. Lebensjahr schwamm er im Nationalkader der DDR und erreichte in dieser aktiven Zeit 12 Siege in diversen Schwimmdistanzen. Der Sieg über die 400m im Freistil brachte ihm nicht nur den Titel des DDR-Meisters sondern auch die Qualifikation zu den olympischen Sommerspielen in Mexiko (1968) ein. Neben den erwähnten Siegen auf den Spartakiaden gewann Axel Mitbauer auch viele Titel auf Kinder- und Jugendmeisterschaften. Darüber hinaus konnte er auch einige Jugendrekorde für sich verbuchen.
 
Im Jahr 1968 fand eine große Veränderung in seinem Leben statt. Bei den ungarischen Meisterschaften in Budapest fragte er den westdeutschen Trainer Werner Ufer und den Schwimmkollegen Wolfgang Kremer, wie man in die Bundesrepublik gelangen könne.
Wolfgang Kremer hatte einiges für Axel Mitbauer zu Papier gebracht, welches er während einer Kontrolle durch die Stasi mit sich führte. Aufgrund dessen wurde Werner Ufer daraufhin neun Monate wegen Mithilfe zur Republikflucht einsitzen. Axel Mitbauer wurde kurz darauf von der Stasi verhaftet. Er erhielt sieben Wochen Einzelhaft. Die musste er in Berlin, in der Normannenstraße, absitzen. Es war das Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi). Ferner wurde Axel Mitbauer ein lebenslanges Start- und Sportstättenverbot ausgesprochen. Die Aufnahme eines Studiums wurde ihm allerdings nicht verwehrt, jedoch erhielt er über einen sehr gut informierten Freund den Hinweis, dass man ihn durch die 1. Zwischenprüfung fallen lassen würde. Axel Mitbauer nahm deshalb von einem Studium Abstand, wurde jedoch weiterhin von der Stasi unter besondere Beobachtung gestellt. Die Stasi-Unterlagen, so sagt mir Axel Mitbauer, hat er in Kopie erhalten, jedoch nie gelesen, weil er eine schöne Jugend hatte und er nicht aus den Unterlagen etwas erkennen will, dass auf diese Zeit, an die er sehr gern zurückdenkt, einen dunklen Schatten wirft.

Axel Mitbauer sah keine Zukunft mehr in der DDR und beschloss im August 1969, in die Bundesrepublik zu fliehen. Schwimmen, das konnte er. Dafür wurde er ausgebildet. Astronomie gehörte in der Schule zum Lehrstoff. Mit diesen Voraussetzungen machte er sich auf den Weg an die Ostsee. Durch Umwege und dem Sprung aus dem fahrenden Zug von Leipzig nach Schwerin konnte er seine Stasi-Betreuer abschütteln. Weiter nach Boltenhagen. Fehlende Ortskenntnisse erschwerten die Erkundung der Umgebung, musste sich ebenso unauffällig bewegen wie die Urlauber.
Dann ist es soweit: Am 17.08.1969, bei Einbruch der Dunkelheit - mit Vaseline eingecremt und als einziges Gepäck Badehose und Schwimmflossen – geht Axel Mitbauer in die Ostsee. So gegen 21:00h.

Die erste große Hürde sind die Scheinwerfer am Strand, die auch auf die Ostsee leuchten.   Die zweite Gefahr patrouilliert am Strand: Der Doppelposten der Grenzbrigade Küste. Der Einstiegspunkt ist fixiert, jetzt wartet er noch den Moment ab, wo dieser im Dunkeln liegt, die Scheinwerfer einen anderen Teil des Strandes passieren. Jetzt, bei 18° liegt die Wassertemperatur, gleitet er vorsichtig in das seichte Wasser hinein. Taucht ein, schwimmt, Zug um Zug, vorsichtig, eher gleiten, ruhig, unauffällig. Die Scheinwerfer nähern sich, kommen erbarmungslos und dennoch gleichgültig näher. Noch einen Moment. Gleich sind sie da. Jetzt. Untertauchen, durch die Oberfläche bedeckt, weitertauchen. Die Helligkeit über ihm nimmt zu, erleuchtet den Grund unter ihm, wird schwächer, verschwindet. Die Gefahr ist vorbei, zumindest für diesen Moment. Auftauchen. Langsam – dann weiter schwimmen, weiter, immer weiter.

​Nun, im Schutz der Wellenkämme, wo die Gischt und Wellenberge ihn verdecken, kann Axel Mitbauer sich vor den Schweinwerfern in Sicherheit wiegen. Wachsam bleiben – es gibt noch die Patrouillenboote, die vor der Küste kreuzen, sie sind jedoch nicht in Sicht. Plötzlich rumort es in ihm, die Tiefe der Ostsee wird nun mental wahrgenommen und muss verarbeitet werden, um nicht zur Gefahr für die Flucht zu werden. Bis zu 15 m Wasser unter und den Sternenhimmel über ihm. Immer am großen Wagen orientieren, stets Richtung Deichsel schwimmen, hinein in die Lübecker Bucht dem Ziel entgegen. Nach rund vier Stunden und über 20 KM, zuerst nur an den Sternen, später durch die Küstenlinie bei Neustadt orientiert, erreicht er die Leuchtboje 2a. Hier zieht er sich aus dem Wasser, erschöpft und glücklich eine westliche Boje erreicht zu haben. Dennoch dauert es einige Stunden bis er um 07:14h von einem Passagier eines vorbeifahrenden Fährschiffs entdeckt wird. Der Passagier meldet den Vorfall sofort dem Kapitän, der das Fährschiff stoppen und zurückfahren lässt, um den Schwimmer aufzunehmen.

Axel Mitbauer wurde in der Bundesrepublik an Land und zum Auffanglager nach Gießen gebracht. Seine Großtante hatte ihm immer zur Seite gestanden, ihm im Hintergrund dazu verholfen, dass er Boden unter die Füße bekam. Seine Leistungen im Schwimmkader der DDR kamen ihm 1970 bei der Europameisterschaft im Schwimmen zugute. Er konnte in der 4 x 200m Freistil Staffel Gold für die Bundesrepublik holen.

Wir sitzen immer noch auf der Bank am Ostseestrand, sprechen über eine Zeit, die wir beide erlebt haben. Mit völlig unterschiedlichen Erfahrungen, aus unterschiedlichen Perspektiven heraus. Nichts Gemeinsames – oder doch – dass damals geteilte Deutschland. Jeder von uns hatte eine andere Wahrnehmung als junger Erwachsener. Mit einer anderen Jugend im jeweiligen Teil Deutschlands. Die See ist ein wenig aufgewühlt, heute bei 20°, wieder Wellenkämme – und hundert Meter entfernt ist STILKRAFT Film dabei, die Geschichte von Axel Mitbauer in den Kasten zu bekommen. Der Initiator der Dokumentaion, gleichsam Produzent, Regisseur und Inhaber der Wiener Filmproduktion, Antonio La Regina, hat alle Hände voll zu tun. Eine Szene nach der anderen wird abgedreht, mal wiederholt, mal beim ersten Mal sauber auf die Festplatte gebannt. Zwischendurch Anweisungen: …. Achtung filmisches Sperrgebiet bis 18:30h, .... bitte setzen Sie sich, damit Sie nicht ins Bild kommen. …. Danke. Am Strand die Komparsen, teils mit eigener Kleidung aus der Zeit der DDR, stilechte Strandkörbe, ungestörtes Strandleben. Auf einmal zwei Mitglieder der NVA im Bild, mit einer alten MZ und Maschinenpistole. Alles gelöst, die Stimmung der sechziger Jahre ist nicht präsent, muss für die Aufnahmen erst aufgebaut werden. Einige der Komparsen haben die Zeit erlebt, fühlen sich zurückversetzt, für einen Moment mit der Vergangenheit wieder verbunden, andere kennen sie aus den Erzählungen der Älteren. Antonio La Regina ist engagiert, hat große Ziele mit der Dokumentaion und hat alle Hände voll zu tun. Er hatte Axel Mitbauer ausfindig gemacht und ihn zu dieser Dokumentation überreden können. Sein Film, der auch über Streamingdienste in den Umlauf kommen wird, ist ein ehrgeiziges Projekt. Ein Herzenswunsch - Antonio wird es schaffen, ganz sicher.
Und zwei ältere Herren sitzen auf der Bank am Ostseestrand und schauen der filmischen Hektik zu.