Wir sind bei Simone und Jörg, auf der
Huskyfarm Wildact und werden heute zu einer mehrstündigen Tour starten. Hartnäckig hält sich oft die Meinung bei den Gästen, dass es um ein Hundeschlittenrennen geht, mit rasanten Fahrten, aufregenden Überholvorgängen und pfeilschnellem dahingleiten. Es kommt jedoch besser. Hundeschlittenrennen sind ein harter Sport und für Neulinge völlig ungeeignet, Kräfte zehrend und oft bis an das Limit gehend. Wir haben etwas Anderes auf dem Programm. Im Hotel haben wir uns
kleidungsmäßig schon gut auf die Tour eingestellt,
jetzt bekommen wir noch den Overall um besser gegen den Windchill und Sträucher geschützt zu sein, die wir auf der Strecke touchieren könnten. Die Einweisung erfolgt abseits des Hundezwingers, da der Gesang der Huskys, die Freude auf die bevorstehende Arbeit, lauter als die Stimme des Mushers ist, wie der Guide bei den Hundeschlittentouren genannt wird. Jeder von uns wird ein eigenes Gespann fahren, mit vier Hunden. Das heißt auch viermal Acht geben, ein Team bilden, Zusammenhalt ist gefragt. Laienhaft kann man sagen, die Hunde gehen vom Start an auf 100%. Wie eine Schiffsschraube, die sich immer gleich schnell dreht und durch die Einstellung der Blätter die Geschwindigkeit reguliert wird, müssen wir die Hunde am Start abbremsen. Frauen sind dort wesentlich einfühlsamer, Männer müssen oft erst lernen, dass der, der bremst nicht unbedingt verliert.
Bremsen erfordert Gefühl, ob mit der Matte oder der Schlittenbremse, jetzt kommt es darauf an, dass die Zugleine nicht durchhängt und die Hunde den Schlitten an die Beine bekommen. Spannung am Geschirr, Spannung am eigenen Körper, das Adrenalin steigt, der Schlitten gleitet dahin, langsam beruhigt sich der Puls, um zugleich durch die beeindruckenden Landschaftsbilder wieder anzusteigen.
Ich stehe auf den schmalen Kufen, die rund 50 cm über den Schlitten nach hinten hinausragen, justiere die Fahrt durch leichtes Bremsen, bringen mich mit der Verlagerung meines Körpers bei den Kurven mit ein und an kleinen Anhöhen unterstütze ich die Huskys so gut es geht, indem ich mich mit einem Fuß, manchesmal auch mit beiden Füßen, abstoße. Riskant, beide Füße von den Kufen zu nehmen und die Anhöhe einzuschätzen, denn wenn die Huskys mit einem Mal vorpreschen, werde ich schlechte Karten haben. Weg sind sie, vorn kann der Musher sie noch fassen – und ich muss laufen. Super, einhundert, zweihundert Meter durch den Tiefschnee. Nennt man so etwas learning bei doing?
Hast du die niedlichen Schühchen der Huskys gesehen? Booties. Sie dienen zum Schutz der Pfoten, wenn der Schnee harschig wird, wenn sich dünne Eisschichten auf die weiße Pracht legen.
Der Musher hält, gibt Signal, dass wir auch stoppen sollen, dort an der kleinen Hütte. Wir reihen uns hintereinander ein. Bei Übernachtungstouren würde jetzt ein „stake out“ erstellt, eine lange Kette, die an zwei Enden sicher befestigt wird um an ihr in sicheren Abstand zueinander die Hunde anzuleinen, damit sie die Nacht ohne die Schnüffeleien des anderen Teampartners überstehen können.
Wir haben nur jetzt eine kleine Pause, der Kaffee wird am Lagerfeuer gekocht, Renskarv – geschnetzeltes Rentierfleisch, welches sich sehr gut zum Transport und zur Zubereitung im Winter eignet – wird ebenfalls über dem Lagerfeuer zubereitet.
Die Seele baumelt, Träumereien beginnen, die Faszination der unberührten Natur, das Zusammenspiel von Mensch und Tier, ein traumhaftes Leben. Keine Frage, dass solche Momente beflügeln, die Auswanderergedanken fundamentieren, dass „hier ist alles besser Gefühl“ erstarken lässt – da wird der Gedanke an die harte Arbeit, die veränderten Lebensbedingungen mit kurzen Tagen im Winter und immer hellen Tagen im Sommer schnell verdrängt. Wir sollten nicht so viel grübeln, sollten diese Stunden als ein unvergessliches Erlebnis festhalten, es aufsaugen, einatmen und in uns bewahren. Diesen herrlichen Tag auf dem Hundeschlitten in der Nähe von Arvidsjaur, südlich des Polarkreises, wo meine vier Fellnasen und ich ein unschlagbares Team bilden.