Das Autorenpaar Voosen/Danielsson

Autorenporträt Voosen|Danielsson

Die Schwedin Kerstin Signe Danielsson, Jahrgang 83, und der im emsländischen Papenburg aufgewachsene Roman Voosen, Jg. 1973, schreiben seit zehn Jahren gemeinsam Kriminalromane. Die Krimi-Serie um zwei sehr ungleiche Ermittlerinnen ist im småländischen Växjö angesiedelt, wo das Paar mit seinen beiden Kindern lebt. merken
Ihre Bücher landen seit dem Debüt „Später Frost“ regelmäßig auf der Spiegelbestsellerliste und werden von Lesepublikum und Presse gefeiert: „Das Autorenpaar gehört seit Langem zu dem Besten, was es derzeit in der skandinavischen Krimiliteratur gibt, und ist längst aus dem Schatten anderer Größen wie Mankell oder Sjöwall/Wahlöö getreten.“ (Krimi-Couch 2019) Der aktuelle Band „Die Taten der Toten“ greift wie die Vorgänger ein historisches oder politisches Thema auf und handelt vom Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme - dem größten Kriminalfall der schwedischen Geschichte.
Aber wie funktioniert das eigentlich - gemeinsam zu schreiben? Erstrecht, wenn man auch den Alltag miteinander teilt? Wie sind sie zum Bücherschreiben gekommen und warum ausgerechnet Krimis? Wir treffen die beiden zum Interview.

Porträt | Interview | Autoren

Das Autoren-Duo Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson im Interview

Ihr schreibt zusammen Romane. Wie genau muss man sich die Arbeitsweise vorstellen?
Kerstin Signe Danielsson: Auf jeden Fall nicht so, dass wir nebeneinander mit unseren Laptops am Schreibtisch sitzen. Das würde nicht funktionieren. So seltsam es in diesem Zusammenhang klingen mag: Schreiben ist für mich eine sehr ruhige Tätigkeit, in der man recht still in sich hineinlauscht. Aber ein Buch besteht aus viel mehr als dem eigentlichen Schreibprozess. Wir diskutieren viel, suchen gemeinsam nach Themen, die uns interessieren, recherchieren, entwickeln im Gespräch einen Plot.
Roman Voosen: Wenn das Gerüst der Geschichte steht, teilen wir die einzelnen Kapitel untereinander auf. Wir lesen dabei gegenseitig Korrektur, kritisieren, stimmen uns ab. Es wird immer wieder überarbeitet, umgeschrieben, gekürzt oder ergänzt.
Das klingt anstrengend. Kommt es dabei nicht unweigerlich zu Meinungsverschiedenheiten?
Kerstin Signe Danielsson: (lacht) Sagen wir so: Im Laufe der Jahre sind wir besser darin geworden, das Berufliche vom Privaten zu trennen und die gegenseitige Kritik auf der Sachebene zu belassen.
Roman Voosen: Wir haben früh gemerkt, dass diese Arbeitsweise, auch wenn sie manchmal anstrengend ist, unsere Bücher besser macht. Das gegenseitige Hinterfragen tut den Texten gut – oft ist nämlich die erste Idee, die man selbst hat, nicht gleich die beste. Für persönliche Kränkungen ist da wenig Platz, sonst würde unser Familienalltag mit dreijährigen Zwillingen auch kaum funktionieren.

Wie ist die Idee entstanden, zusammen Krimis zu schreiben?
Roman Voosen: Ich war und bin selbst ein großer Krimi-Fan, und mochte es von klein auf an, Geschichten zu schreiben. Irgendwann kam das eine zum anderen. Wahrscheinlich versucht jeder Autor die Bücher zu schreiben, die er selbst gern lesen würde. So ging es mir zumindest. Dazu kam, dass meine Faszination von Skandinavien immer schon groß war. Aber allein als Deutscher über Schweden zu schreiben, hat nicht funktioniert. Ganz schnell war da eine unüberwindlich erscheinende Wand: Fehlendes Wissen, kulturelle Feinheiten, Sprachgefühl. In dem Moment habe ich meine Frau gefragt, ob sie mir nicht helfen möchte.
Kerstin Signe Danielsson: Über diese Einladung freue ich mich bis heute. Aber ich hatte eine Bedingung: Zwei weibliche Protagonistinnen, denn ich war der alten, müden, melancholischen Männer, die viele Krimis dominieren, etwas über (lacht). Ich wollte etwas Neues, Frisches.

Wie würdet ihr eure beiden Kommissarinnen charakterisieren? Und findet man euch in den Figuren wieder?
Roman Voosen: Ich mag die bodenständige, ruhige, umsichtige Ingrid Nyström sehr. Sie ist mit einem Pastor verheiratet und singt im Kirchchor. In die Chefrolle rutscht sie unbeabsichtigt und mit großem Selbstzweifel. Im Laufe der verschiedenen Bände und Fälle bewährt sie sich. Aber das hat einen Preis. Ihr fast schon spießiges Charakterfundament und auch ihr Selbstbild bekommen Risse.
Kerstin Signe Danielsson: Ich spüre eine große Sympathie mit der impulsiven, etwas eigenbrödlerischen Stina Forss. Als Deutschschwedin, die in keinem der beiden Länder richtig Halt oder eine Heimat findet, verkörpert sie eine gewisse Zerrissenheit und ein Verlorensein, aber auch einen scharfen Außenblick auf die schwedische Gesellschaft. Diese Perspektive interessiert mich sehr. Ihre Figur spiegelt die Schnittmenge zwischen Schweden und Deutschland, wo ich selbst viele Jahre gelebt habe, wider – aber auch die Reibungsflächen und Ungleichheiten.

In euren Romanen geht es häufig um politische Themen der Zeitgeschichte wie zum Beispiel dem „Estonia“-Unglück, untergetauchten Stasi-Agenten oder Rechtsextremismus. In „Die Taten der Toten“ schreibt ihr über den Mord an Olof Palme. Wie kam es dazu?
Kerstin Signe Danielsson: Der Sog des Themas ist stark: Ein großes Politikum, ein nationales Trauma, ein echter Kriminalfall, der noch dazu bis heute nicht wirklich aufgeklärt ist. Für Autoren, die ihre Fiktion dicht um die Wirklichkeit flechten, ist diese Tragödie auf vielen Ebenen interessant.
Roman Voosen: Dazu kommen die unzähligen reizvollen, aber auch leicht in die Irre führenden Mythen, Gerüchte und Verschwörungstheorien. Der Palme-Fall ist wahrscheinlich das europäische Pendant zum Kennedy-Attentat. Entsprechend groß erschien uns das erzählerische Potential.
Welche Bedeutung hat Olof Palme für das Schweden von heute?
Roman Voosen: Palme steht für eine vergangene Epoche: Nie wieder waren soziale Aufstiegschancen, Lohn- und Bildungsgerechtigkeit, aber auch Fortschritts- und Zukunftsoptimismus politisch so etabliert wie in dieser Belle Époque der schwedischen Sozialdemokratie. Außenpolitisch verstand es Palme die Sonderrolle des Landes im Kalten Krieg maximal in die Waagschale zu werfen: Ob Solidarität im Kampf gegen die Apartheit in Südafrika oder durch die Unterstützung verschiedener Befreiungsbewegungen in ehemaligen Kolonialstaaten – Schweden inszenierte sich von Mitte der Sechzigerjahre an erfolgreich als moralische Supermacht.
Kerstin Signe Danielsson: Nach Palmes Ermordung war diese Zeit für immer vorbei. Dennoch ist es erstaunlich, wie sehr diese Ära bis heute das Fremd- aber auch Selbstbild Schwedens prägt. Je nach politischem Blickwinkel als Ideal oder Negativbild. Dieses Spannungsfeld hat uns ungemein angesprochen.

Ihr habt für dieses Buch jahrelang recherchiert. Warum habt ihr einen Kriminalroman geschrieben und kein Sachbuch?
Kerstin Signe Danielsson: Wir sind politisch interessierte Literaten, keine Journalisten. Unsere Romanreihe ist trotz aller Blicke in den Rückspiegel der Geschichte eine Erzählung über die heutige schwedische Gesellschaft. Wir verstehen uns insofern in der Tradition von Autoren wie Maj Sjöwall, Per Wahlöö, Henning Mankell oder Stieg Larsson.
Roman Voosen: Entgegen der Genre-Konventionen von Krimi-Reihen haben wir uns von Beginn an für einen starken, durchgehenden Handlungsstrang entschieden, der über die einzelnen Bände hinausgeht und nun im Mordfall Olof Palme Höhepunkt und Katharsis findet. Mit all den Andeutungen und Cliffhangern haben wir unseren Lesern über die Jahre viel abverlangt. Wir sind dankbar, dass sie diesen Weg bis hierhin mit uns gegangen sind.
Im Sommer 2020 hat die schwedische Staatsanwaltschaft der Öffentlichkeit einen Hauptverdächtigen präsentiert. Wie ist das in Schweden angekommen? Was haltet ihr von der Lösung?
Roman Voosen: Die Präsentation war für nahezu alle interessierten Betrachter eine große Enttäuschung, weil weder neue Indizien noch Beweise vorgelegt wurden und der Verdächtigte, der sogenannte „Skandia-Mann“, der auch in unserer Geschichte eine wichtige Rolle spielt, nicht angeklagt werden kann, da er mittlerweile verstorben ist. Auf die vielen anderen Theorien der Palme-Ermittlung, die wir in unserem Buch vorstellen, wie die „Südafrika-Spur“, die „Polizei-Spur“ oder ein rechtsextremes Komplott, ging die Staatsanwaltschaft leider nicht ein.
Kerstin Signe Danielsson: Eine gute Nachricht war allerdings, dass die polizeilichen Akten mittlerweile fast vollständig digitalisiert sind und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Das Interesse daran ist in Schweden ungebrochen riesig, man spricht bereits davon, dass nun eine neue Generation Journalisten und selbsternannter Ermittler das Ruder übernimmt. Die Suche nach der Wahrheit im Mordfall Olof Palme wird mit Sicherheit weitergehen. Auch wenn die Polizei die Ermittlung nun offiziell einstellt, bleiben sehr, sehr viele Fragen offen. Auf die blinden Flecken in der Ermittlung hinzuweisen, war uns beim Schreiben ein wichtiges Anliegen.

Bibliografie

„Später Frost“ (2012) - Leseprobe
„Rotwild“ (2013)
„Aus eisiger Tiefe“ (2014)
„In stürmischer Nacht“ (2015)
„Der unerbittliche Gegner“ (2016)
„Erzengel“ (2018)
„Schneewittchensarg“ (2019)
„Die Taten der Toten“ (2020) - Leseprobe
Sämtliche Bände erscheinen bei Kiepenheuer und Witsch